Nach ein paar Stunden Fahrt erreichte die "Anna" den Liegeplatz vor Jörð, dem Hof Brynjars und seiner Familie. Nun, der Ort selbst bestand aus mehr als dem namensgebenden Hof Brynjars. 4 weitere Höfe und sogar ein winziger Laden hatten sich hier angesiedelt, seit Brynjars Vorfahr Sturla Erlendson vor Jahrhunderten das Land genommen und besiedelt hatte. Und gemeinsam mit 8 weiteren Höfen im Umkreis von 20 oder 30 Kilometern bildeten diese nun den Ort Jörð.
Brynjar hatte ihre Ankunft angekündigt, und so waren gut 60 Menschen aus ganz Jörð am Ufer versammelt, um die Ankunft der "Anna" und des Wales, der ein riesiges, sich jährlich wiederholendes Fest ankündigte, zu erwarten. Als die "Anna" etwa 10 Meter vor dem Strand den Anker warf, legte ein kleines, mit drei Männern besetztes Ruderboot vom Ufer ab. Im Schlepp hat es ein etwa 5 Zentimeter dickes, mit Tuch umwickeltes Stropp, welches sie um die Schwanzwurzel des Zwergwales legten. Am Ufer war das Tau an einem Trecker festgemacht, der, nachdem der Wal vom Boot gelöst war, begann, das Tier auf den Strand heraufzuziehen.
Während der tonnenschwere Körper über den Kies knirschte, brachte das Ruderboot die Besatzung der "Anna" an Land. Kattla war die Heldin des Tages. Alle wussten, dass sie Jörð schon nächste Woche verlassen und nach Höfudfjördur zum Studium gehen würde. Da war ein großes Abschiedsfest für alle Jörðer selbstverständlich. Das sie das heute aber noch topte, indem sie in die Reihen der Waljäger Einlaß verlangte, war mindestens ein ebenso großes Fest wert. Und Brynjar war nicht dafür bekannt, bei solchen Gelegenheiten knausrig zu sein.
Während das Tau vom Wal gelöst wurde und die Flenser sich bereit machten, wurde Kattla durch ein Spalier händeschüttelnder und schulterklopfender Jörðer zum Bauch des auf der Seite liegenden Wales bugsiert und dort, zwischen Vater und Bruder stehend, gefühlt eine Million mal fotographiert. Die Flenser drängten, und so wurden die drei erlöst und Kattlas konnte zu ihrer Mutter gehen um sich von ihr in den Arm nehmen zu lassen. Gerade als Kattlas Schwester Ingri mit den ersten Flaschen Selbstgebrannten erschien, stieß der erste Flenser, auf dem Wal stehend das Flensmesser direkt hinter dem Flipper in die Speckschicht des Tieres. Ein dicker Schwall tiefroten Blutes schoß aus der Wunde und nur den eisenspitzenbeschlagenen Stiefelsohlen des Flensers war es zu verdanken, dass dieser nicht auf der Haut des Wales ausglitt. Statt dessen zog dieser, fest den Stiel des Messers packend, die Klinge duch die Haut und den Speck des Tieres hindurch bis zu dessen Schwanzwurzel. Ein schmieriger Brei aus Blut und Fett ergoß sich über den Uferkies. Indessen hatte der zweite Flenser einen zweiten Schnitt von der Spitze des Maules am Schädel entlang bis zur Brustflosse gezogen, wo dieser sich mit dem Schnitt des ersten Flensers verband. Der dritte Flenser setzte einen Schnitt von der Maulspitze bis hinunter zum Boden und löste Haut und Speckschicht ein wenig vom Walkörper. Dort wurde eine Trosse hineingezogen und der inzwischen bereitstehende Trecker begann, unterstützt durch die drei Flenser, Haut und Speckschicht vom Walkörper zu ziehen. Nachdem der Streifen am Schwanz abgetrennt wurde, wurde der zweite Streifen vom Körper des Wales heruntergeholt, indem die Trosse erneut, diesmal in der Spitze des Unterkiefers, angelegt wurde. Als nächstes zertrennten die Flenser die Halswirbel und lösten damit den Kopf des Wales von seinem Körper. Aus dem Kopf trennten sie die Zunge heraus. Während der Trecker auch diese Teile beiseite geschafft hatte, wurde er harangezogen, den Wal zu drehen und den dritten und letzten Streifen, wie auch die beiden anderen von ihm, herabzuziehen. Danach begannen die Flenser, in großen Stücken das Fleisch von den Knochen des Wales zu schneiden.
Das vollständige Zerlegen des Wales hatte kaum mehr als eine Stunde gedauert. Eine Stunde, in der Kattla sicher fünf mal die Geschichte ihrer ersten Waljagd erzählen musste. Und notgedrungen auch gut Vaters Selbstgebranntem zusprechen musste. So war sie froh, als sie sich endlich mit den anderen daran machen konnte, Speck und Fleisch zu verarbeiten. Im Gegensatz zu den abgelieferten Walen wurde der Speck hier nicht verkocht, sondern in Streifen geschnitten, gesalzen und dann in den zwei Räucherhütten Jörðs aufgehangen. Das Fleisch wurde in handliche Stücke zerlegt und unter allen Anwesenden aufgeteilt. Ein Zwergwal war wahrlich ein Zwerg unter den Walen, trotz allem fielen für jeden in Jörð, vom Säugling bis zum Greis, etwa 35 Kilo Walfleisch an. Diese wurden in die Autos der äußeren Höfe verladen und sofort abtransportiert oder von den hier Wohnenden sofort eingefrohren. Ein gut Teil, sicher ein Zentner besten Rückenfleisches wurde sofort in die Küchen getragen und für das anstehende Fest zubereitet. Die Innereien des Wales wurden ebenfalls eingefrohren und gaben Hundefutter für alle Hunde Jörðs für mindestens ein Jahr. Mit dem Rest des Wales wurde weniger sorgfältig umgegangen. Die Wirbel und die Barten hatte Kattla sich erbeten, sicher konnte man die irgendwann noch einmal verarbeiten. Rippen, Kopf und Arme wurden ein Stück abseits an den Strand gelegt und Wind und Wetter übergeben, die sie bleichen und vergehen lassen würden.
Am späten Nachmittag war alle Arbeit erledigt. An den Wal erinnerten nur noch seine Knochen am Strand und ein großer Fleck aus Blut und Fett am Strand. Nachdem sich alle gesäubert hatten - die meisten davon durch ein Bad im eisigen Wasser des Nordanik - gingen alle in Brynjars Haus, das fast aus allen Nähten platzte und das eigentliche Fest konnte beginnen. Kattla hatte die Kälte des Meerwassers den Kopf wieder frei gemacht, und so konnte sie zu Beginn des Festessens das Álfablót eröffnen, ohne sich zu blamieren. Und ihr Dank kam aus ihrem tiefsten Herzen.
Zwei Tage später verlies Kattla die Siedlung.